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„Stell dir einen Korb voller Äpfel vor… Runde, rote Äpfel, ganz frisch. Und dann, eines schönen Tages, kriecht ein Wurm in diesen Korb… Der Wurm befällt den schönsten Apfel. Er frisst sich in ihn hinein, er bohrt und bohrt… Irgendwann hat sich der Wurm bis zum Herzen des Apfels durchgenagt. Und schon beginnt er zu faulen… Nicht lange, dann ist der ganze Korb ruiniert!“

Das Drei-Dutzend-Seelen-Nest Notre-Dame am See hat neuerdings eine echte Attraktion: Das „La Raviole“ ist ein Feinschmecker-Restaurant ganz nach Pariser Vorbild. Damit nicht genug, lässt Chefkoch Serge die Gäste gratis in den Genuss seiner Kochkünste kommen. Kein Wunder, dass sich die Damenwelt darum reißt, von dem kultivierten Neuankömmling bewirtet zu werden. Ebenso wenig allerdings nimmt es wunder, dass ihre Männer, die nach einem harten Winter des Holzschlagens aus den Wäldern zurückkehren, den Hahn in ihrem Korb weit weniger bezaubernd finden…

In stimmungsvollen Bildern versetzen Régis Loisel („Auf der Suche nach dem Vogel der Zeit“, „Peter Pan“) und Jean-Louis Tripp den Leser in die kanadische Provinz der 1920er Jahre und entfaltet vor seinen Augen eine höchst menschliche Geschichte voller melancholischer Heiterkeit.

 

 

Originaltitel: Magasin Général - Les Hommes
Autor:
Régis Loisel, Jean-Louis Tripp
Übersetzer: Martin Buddde
Illustrationen: Régis Loisel, Jean-Louis Tripp
Verlag: Carlsen Comics
Erschienen: April 2008 
ISBN: 978-3-551-76053-1
Seitenzahl: 82 Seiten


Die Grundidee der Handlung
Am Ende des zweiten Bandes hing die berechtigte Frage in der Luft, wie wohl die Männer auf den Eindringling Serge, der im Nu die gesamte Dorfgemeinschaft für sich einzunehmen verstand, reagieren werden, wenn sie aus den Wäldern zurückkehren. Und es kommt genauso, wie die drei alten Lästermäuler bereits unkten, die störrischen Mannsleute sind argwöhnisch und eifersüchtig auf den Fremden in ihrer Mitte.

Diesmal schlägt die Erzählweise ganz andere Töne an, als in den Vorgängerbänden „Marie“ und „Serge“. Es sind - bis auf eine Ausnahme - weder harmonische noch amüsante Episoden, die uns im dritten Band erwarten. Eine unheilvolle, gewittergeladene Stimmung macht sich breit, die einer Rebellion gleichkommt, denn es bilden sich zwei feindselige Lager: Auf der einen Seite scharen sich die Frauen, Kinder und die wenigen daheimgebliebenen Männer hinter Serge und Marie und stärken dem Paar den Rücken, ihnen gegenüber stehen trotzig die Ankömmlinge aus den Wäldern. Die aufreibenden Wortgefechte zwischen den beiden Fronten gipfeln dann in der Schließung von Maries Laden auf unbestimmte Zeit und dem unerbittlichen Rausschmiss der Männer aus ihrem heimeligen Nest, so dass sich diese mit einem notdürftig zusammengezimmerten, eiskalten Holzschuppen im Wald und armselig zubereitetem Essen behelfen müssen.


Beurteilung der Zeichnung / Textdarstellung
Bevor das zentrale und wenig schöne Thema dieses Bandes beginnt, beschert uns das Autoren- und Zeichnerteam Loisel & Tripp doch noch eine Szene ganz im Stil der Vorgängerbände, bei der man einfach nur in Wohlbehagen aufgeht, denn mit erleben zu dürfen, wie sich der geistig zurückgebliebene Gaetan über seine Geburtstagsgeschenke freut, fühlt sich beim Lesen genauso herrlich an, als ob man gerade selbst den sehnlichsten Wunsch erfüllt bekommen hätte.

Die Bilder, in denen sich die gegnerischen Fronten bilden und erste Reibereien ihren Gang nehmen, spielen sich hauptsächlich im Feien ab, wo der bevorstehende Stimmungsumschwung in der Handlung durch die dargestellten Landschaftsillustrationen optisch sehr schön unterstrichen wird, denn auch hier kündigt sich ein Wechsel an: Trotz des gedämpften, eisblauen Winterlichts am Horizont verdeutlichen erste Löcher in den Schneedecken der Dächer und Wasserrinnsale auf den Wegen das Ende des Winters.

Ab der Hälfte des Bandes, als sich die unheilschwangere Atmosphäre endlich mit einer Zornestat der Männer entlädt und Serge betrübt seine Abreise ankündigt, wird die ohnehin schon traurige, von Abschied gezeichnete Stimmung auch noch mit dunklen, düsteren, von nass-kaltem Dauerregen verschleierten Bildern bekräftigt. Da wird es keinen wundern, wenn Maries und Serges Abschiedsschmerz bei diesen eindringlichen Bildern für manchen Leser vielleicht zu viel des Guten sein wird. Vorsorglich sollte man lieber schon mal Taschentücher bereit legen. Der Schluss hält dann doch noch eine überraschende Wende bereit, die einen aber - genau wie Marie - eher ratlos als zufrieden die Buchdeckel zuklappen lässt. Umso mehr Grund, gespannt auf den nächsten Band zu sein.

Dieser Band kommt mit auffallend wenig Text aus. Die große atmosphärische Dichte wird hauptsächlich ohne Dialoge erzeugt, was die hervorragende Arbeit des Duos Loisel & Tripp noch deutlicher unter Beweis stellt, als in den zwei harmonisch-heiteren Vorgängerbänden.


Aufmachung des Comics
Es handelt sich - genau wie bei Band 1 und 2 - um eine gebundene A4 Ausgabe mit einem Lageplan des Dorfes auf den Vorsatzblättern und seidenmatten, hochwertigen Seiten im Innenteil. Auf dem Titelbild sieht man die Männer von ihrer Winterarbeit heimkehren, womit auch genau der Kern der Handlung erfasst ist. Der sattgelbe, sonnendurchflutete Horizont über dem Nest soll wohl Metapher für die sonnige, ausgelassene Heiterkeit sein, die durch das unverhoffte Auftauchen eines Fremden in ihrem Dorf eingekehrt ist. Insgesamt ist das Cover sehr stimmig und aufschlussreich.


Fazit
Auch wenn hier eine komplett andere Leseatmosphäre (aufwühlend, bedrückend, traurig) als in den vorangegangenen Bänden herrscht, ist die Serie „Das Nest“ ein Must-Have für alle Comicleser, die wirklichkeitsnahe, ruhige und atmosphärisch dichte Erzählweisen lieben. Hier ist einfach alles hochkarätig und stimmig, egal ob Handlung, Zeichnungen oder Kolorierung, nicht zuletzt die Aufmachung der Bücher.


5 Sterne


Hinweise
Diesen Comic kaufen bei: amazon.de

Backlist:
Band 1: Marie
Band 2: Serge 

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