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Sie hatte sich eine Prüfung gewünscht, die ihre Fähigkeit Ungemach zu ertragen einer äußersten Belastung aussetzen würde, und der Meister hatte ihrem Wunsch entsprochen.
Als es so weit war, wurde sie in einen Raum gebracht, von dem sie nicht wusste, wo er sich befand. Die Wände waren in einem trüben Grün gestrichen. An der Decke brannten Leuchtstoffröhren. Von einem Ende des Raumes bis zum anderen - und durch eine mit Gummiklappen verschlossene Öffnung in den nächsten Raum führend - befand sich eine äußerst merkwürdige Konstruktion. Sie sah etwas wie einen langen Schlauch aus geripptem Gummi, hoch genug, dass ein Mensch sich darin kriechend oder kauernd fort bewegen konnte, doch schien das Ding einer anderen Art der Fortbewegung zugedacht, denn auf dem Boden verliefen zwei glitzernde Schienen. Sie führten geradewegs in den Schlauch hinein. Und nun entdeckte sie auch das Gefährt - ein einfaches Wägelchen mit einem darauf montierten Sitz, dessen klobige Gestaltung grimme Ähnlichkeit mit einem elektrischen Stuhl hatte.
"Du wirst hier Platz nehmen!", befahl der Meister.
Sie gehorchte und wurde nackt in eine seltsame Apparatur gezwängt, eine den ganzen Körper umschließende Fessel aus Riemen und Schnallen, die nur den Kopf frei ließ. Ihre Beine waren im Sitzen zusammengepresst und fix an den Stuhl geschnallt, ihre Oberarme mit ähnlichen Riemen eng an den Körper gepresst, die Handgelenke auf dem Rücken zusammengebunden. Um ihre völlige Hilflosigkeit noch zu verstärken, wurde über ihre gefesselten Hände ein kleiner Sack aus schwarzem Leder gezogen, der jedes Greifen oder Tasten mit den Händen verhinderte. Um ihren Hals legte der Meister eine Art starrer Krause aus schwerem schwarzem Kunststoff, die mit drei massiven Schnallen im Nacken verschlossen wurde. Sie zwang sie das Kinn hoch zu halten, gleichzeitig aber schützte sie ihren Hals.
Wovor? Was mochte sie erwarten? Sie fühlte, wie ihr während dieser Vorbereitungen der Schweiß ausbrach und ihren ganzen Körper mit einem glitschigen, streng riechenden Film bedeckte, den sie nun nicht mehr wegwischen konnte. Ein Tropfen rann von ihrer Stirne den Nasenrücken entlang und hing glänzend an der Nasenspitze. Sie wusste, dass sie den Meister mit ihrem Begehren herausgefordert hatte; er würde das Seine dazu tun, dass ihr die Prüfung nicht leicht fiel. Aber sie war in den vergangenen Monaten immer öfter an ihre Grenzen gegangen, nun verlangte es sie danach diese Grenzen zu überschreiten. Sie blickte erwartungsvoll zu ihrem Meister auf.
Er legte ohne ein weiteres Wort einen Schalter um und das Wägelchen begann sich auf seinen Schienen zu bewegen. Sie sah jetzt, dass der Schlauch oben offen war: Als sie hineingefahren wurde, öffneten sich zwei Gummiklappen. Nun wusste sie auch, dass die starre Krause den Zweck hatte zu verhindern, dass die Ränder dieser Klappen an ihrem Hals schürften. Nur ihr Kopf sah noch aus dem Schlauch heraus, während ihr Körper, in starrer Unbeweglichkeit gefesselt, auf dem Wägelchen saß und wider seinen Willen dahingetragen wurde.
"Gute Fahrt!", sagte der Meister lachend., als sie durch den aufschwingenden Vorhang aus massivem schwarzem Gummi in den nächsten Raum befördert wurde.
Dieser Raum, lang und schmal, war ebenfalls grün gestrichen - wie übrigens alle Räume, die sie in dieser Nacht noch durchqueren sollte - aber viel schwächer beleuchtet als der erste. Sie brauchte eine Weile um sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Aber diese Zeit war ihr reichlich gewährt. Das Wägelchen glitt im Schritttempo dahin. Zu hören war nichts außer dem leisen Surren des Motors, der es betrieb, und ihren eigenen angestrengten Atemzügen. Sie spürte, wie Angst sie überkam, aber auch beginnende Erregung. Der Sitz, auf dem sie fest geschnallt saß wie ein Todeskandidat auf dem Stuhl, und die umfassende Art ihrer Fesselung hatten einen eigenen Reiz. Noch nie zuvor war sie so völlig allem ausgeliefert gewesen, was sie erwarten mochte. Bislang war es immer der Meister gewesen, dem sie sich ausgeliefert hatte, aber nun, das spürte sie, erwartete sie etwas anderes - etwas Unpersönliches und Blindes, das keine Rücksicht auf ihre Gefühle und Bedürfnisse nahm. Sie wurde mit jedem Schritt, den das Wägelchen zurücklegte, tiefer in den Rachen eines grausamen Mechanismus gefahren, dessen Art und Charakter sie noch nicht erkannt hatte.
Dann sah sie es. Am äußersten Ende des Raumes, schon nahe der schwarzen Gummiklappe, die in den nächsten Raum führte, durchfuhr das Wägelchen einen Tunnel aus durchsichtigem Kunststoff. Besser gesagt, ihr Kopf allein wurde durch den Tunnel gefahren, während der Rest ihres Körpers unter der schützenden Hülle verborgen blieb. Und was war das, was in diesem Tunnel waberte? Nebel? Rauch? Sie starrte neugierig hin. Der Tunnel war etwa eineinhalb Meter lang und so breit, dass neben ihrem Kopf - ihrem Gesicht, wie ihr klar wurde - auf beiden Seiten und über ihr noch etwa drei Handbreit Raum blieben. Aber was war es, das diesen Raum ausfüllte?
Unwillkürlich zuckte sie zurück, machte eine Bewegung, als wollte sie sich befreien, aber die Schnallen und Riemen hielten sie gnadenlos fest. Sie versuchte den Kopf zurückzuneigen - ebenfalls umsonst. Die Krause, die wie zwei harte Hände ihren Hals umklammerte, verhinderte es. Unbarmherzig wurde sie vorwärts gezogen, der durchsichtigen Klappe zu, die den Tunnel verschloss, und dann war sie drinnen.
Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Es war tatsächlich Rauch, was den Tunnel erfüllte, Rauch, der aus einer kleinen Düse im Winkel kroch und mit süßlichem Gestank ihr Gesicht einhüllte. Sie schloss die Augen, die bereits zu tränen begannen. Der Tunnel erschien ihr lang, sehr lang, aber sie schaffte es den Atem anzuhalten, bis sie wieder draußen war. Mit einem Seufzer der Erleichterung atmete sie tief ein und aus. Aber da glitt das Wägelchen bereits auf die nächste Gummiklappe zu.
Der Raum dahinter enthielt einen Tunnel, der mit Spinnweben gefüllt war. Sie glitten über ihr Gesicht, verhängten sich in ihrem Haar, drohten ihr in den Mund zu kriechen. Krampfhaft pustend hielt sie die ärgsten der grauschwarzen Schleier von sich fern, ihr Gesicht kämpfte, während ihr Körper mit feierlicher Gelassenheit und der Reglosigkeit einer Statue dahingetragen wurde.
Im nächsten Raum waren die Spinnen.
Sie stieß einen Schrei aus und wusste, dass der Meister, der über Video ihre Höllenfahrt mitverfolgte, ihn gehört hatte, aber das schwarze, vielbeinige Gewimmel in dem gläsernen Tunnel war zu viel, als dass sie es schweigend hätte hinnehmen können. Sie kniff die Augen zu, hielt den Atem an, als das gnadenlos weitersurrende Fahrzeug sie an die Klappen des Tunnels herantrug. Steif vor Ekel ertrug sie es, dass eine Spinne in ihr Haar fiel und darin herumkrabbelte. Eine weitere fiel auf ihr Gesicht, aber sie wagte nicht zu schreien aus Angst, das Tier könnte dann in ihren offenen Mund fallen. Der Tunnel schien Kilometer lang zu sein; sie konnte es kaum glauben, als ihre Nasenspitze endlich an die Klappe am anderen Ende stieß und diese aufschwang.
Als sie keuchend und schnaubend die Augen öffnete und die nächste schwarze Gummitüre unter dem Druck der Wägelchens aufklaffen sah, wurde ihr klar, was der Meister geplant hatte. Sie wusste nicht, wieviele Tunnel es waren, bis zu welchen Exzessen des Grauens er sie treiben würde, aber sie wusste, dass ein Tunnel schrecklicher sein würde als der andere - so lang, bis sie den Schrecken nicht mehr ertrug.


Anmerkungen:
13. Nov. 2007

Veröffentlichung auf www.leser-welt.de mit freundlicher Genehmigung von LITERRA.

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