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Ich träumte!
Ich ging einen völlig verlassenen, bleifarbenen Strand entlang, in den sich da und dort lange hölzerne Stege hineinschoben. Am Himmel häuften sich bedrohlich aussehende Wolken. Ein Gefühl dumpfer Beklommenheit hielt mich umfangen, ich ging rascher und rascher, spürte aber, wie der Sand meine Füße hinabzog und mein Weiterkommen erschwerte. Allmählich wurde mir bewußt, daß es die Wolken waren, die dieses Gefühl der Furcht in mir hervorriefen - sie hatten etwas von einem schwerfälligen, ungestalten, aber mit einer bösartig lauernden Intelligenz ausgestatteten Wesen an sich, das mich beobachtete.
Mit bösen Absichten beobachtete!
Die Angst übermannte mich, und plötzlich begann ich, wie von einem Peitschenhieb angetrieben, zu rennen.
Es fiel mir schwer; schon nach kurzer Zeit zitterten meine Knie, meine brennenden Glieder erschlafften, ich rang mühsam nach Atem, sah feurige rote Fleckchen, die blitzend vor meinen Augen herumsprangen – und fiel letztendlich hin. Und obwohl ich nun wußte, daß das Unheimliche mir rasch näher kam, konnte ich mich nicht aufraffen. Ich war erschöpft, lag still da und lauschte ... es kam mit einem leisen Swisch! näher, wie dem Schlag großer fleischiger Flügel ... ich wußte, daß es mich zerteilen und zerreißen würde und empfand eine seltsame krankhafte Lust bei dem Gedanken, bei vollem Bewußtsein spüren zu können, wie es mich auseinanderriß ...

 

In der nächsten Nacht hatte ich wiederum einen ebenso bizarren wie erschreckenden Traum.
Ich kletterte - an einem Kabel, wie es mir schien - in einem endlosen Schacht nach oben. Was für ein Schacht es war, konnte ich nicht erkennen, aber es mußte ein Aufzugsschacht oder etwas dergleichen sein, denn sein Inneres war voll mit verstaubten Rohrbündeln und den dunklen Schlangenwindungen von Kabelnsträngen. Die Luft war matt und trüb und von einem unbestimmbaren, aber deutlich unangenehmen Geruch geschwängert - etwas Ranzigem, wie der Ausdünstung eines großen, kaltfeuchten tierischen Körpers. Das Tier (was immer es war) folgte mir. Ich hörte sein Vorwärtskriechen und fühlte die dumpfe Luftwelle, als es sich wie ein Kolben im Rohr ein Stück vorwärtsschnellte. Dann sackte es wieder zurück und bewegte sich mit derselben weichen, anschmiegsamen Wellenbewegung weiter im Schacht.
Ich spürte, wie die verhaßteste meiner Ängst mich überkam - Platzangst. Das Klettern ermüdete mich, und der formlose Verfolger unter mir holte zusehends auf. Ich sah den Augenblick näherrücken, an dem eine glitschige Masse jählings emporschnellen und mich bis zu den Knien oder zur Hüfte - oder noch höher - in sich begraben würde ...
Dann änderte sich der Traum: Das Ding war nun nicht mehr hinter mir, sondern vor mir. Ich sah sein halb opakes Ende in der trüben Luft des Schachtes schwingen wie den Schwanz eines Tornados. Es quoll viele Stockwerke über mir am oberen Ende des Schachtes heraus ... und hielt ihn zu, wie Kinder mit der flachen Hand das Glas zuhalten, in dem sie irgendwelche halbverendeten Schmetterlin-ge eingekerkert haben ...

 

Ich träumte!
Ich ging über den Friedhof des Städtchens und gelangte in einem seiner einsamsten und verlassensten Teile zu einer Gruft aus schwarzem Marmor, die einen vernachlässigten und verfallenen Eindruck machte. Das turmartige Häuschen, das man über dem Gewölbe errichtet hatte, war von Schmutz und Spinnweben verunziert; der Boden des Gewölbes aufgebrochen, so daß ich, als ich nähertrat, in den düsteren unterirdischen Raum hineinsehen konnte.
Es standen zahlreiche Bleisärge darin, alle uralt, zerdrückt und von grünlichem Schimmel bewachsen, wo ein scharfer Regenguß in die Tiefe hinabgedrungen war ... aber ein Sarg war ganz neu, und darin lag eine Frau: Eine dicke Frau mit glänzendweißem Gesicht und karmesinroten Lippen.
Sie streckte mir die Hand entgegen und rief mir zu, ich sollte sie hinaufziehen. Ich versuchte es, aber der klammernde Griff ihrer Finger waren grauenhaft stark, und anstatt daß ich sie ans Licht gezogen hätte, riß sie mich hinunter in ihre Finsternis. Ich fand mich zwischen den verformten alten Bleisärgen in einem schmutzigen feuchten Raum, in dem ein säuerlicher Geruch herrschte. Hoch über mir sah ich das gezackte Loch, durch das ich hinabgestürzt war, aber draußen schien es nun dunkel zu werden, denn die Öffnung wurde immer undeutlicher und verschwand schließlich ganz. Ich spürte, daß Schnee fiel, weicher, großflockiger Schnee, der rasch alle meine Spuren bedeckte. Niemand, wußte ich, würde mich finden, selbst wenn man nach mir gesucht hätte.
Ich legte mich in den Sarg - ich war nun ganz alleine in der Gruft - und deckte mich mit einer schwammigen Dunkelheit zu, die sich schwer auf mich legte ... kaltfeucht und schwer, als würde ich mit nassem Schlamm bedeckt, oder als breitete sich in der bläulich durchschimmerten Finsternis eine große Molluske auf meinem Körper aus. Das Ding umklammerte mich von allen Seiten, es schob langsam seinen unendlich wandlungsfähigen Körper um meinen, bis es jede Ritze zwischen mir und den Sargwänden ausgefüllt hatte. Es zwängte sich schleimigweich und doch voll schlangenhafter Kraft unter meinen Nacken, rann zwischen meine Beine und die Höhlungen zwischen Achseln und Leib, bis es mich in seiner eisigen erstickenden Masse einzementiert hatte. Es schob seine Protuberanzen in jeden Zwischenraum, den es erreichen konnte, es drängte sich zwischen geschlossenen Beinen in meinen Leib, bis es ihn mit seinem elastischen Auswuchs verschlossen hatte, und troff mir langsam in den Mund, bis er voll und versiegelt war.
Es war grauenhaft, und dennoch empfand ich nicht Grauen allein. An diesem Schmiegen und Umschließen war etwas Behagliches, ein dumpfes Sich-Auflösen in der Gewalt eines übermächtigen Andern ... es war eine Lust am Zerstört-werden, wie ich sie nie zuvor in solcher Intensität empfunden hatte ...
Denn das Ding löste mich auf: Es arbeitete sich an die Knochen heran und verzehrte mein Fleisch, bis es, was ich gewesen war, als sein blaßblaues Erbrochenes in den Sarg spie.


Anmerkungen:
30. Okt. 2007

Veröffentlichung auf www.leser-welt.de mit freundlicher Genehmigung von LITERRA.

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