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Tick-Tick-Tick. Das Geräusch traf mein Ohr mit der Wucht eines Hammers. Eine Bombe! Ich schaute mich um. Alles Dunkel, in meinem Kopf drehte sich alles, ich fühlte mich benommen. Meine Umgebung ein großes unbekanntes Nichts. Keine vertrauten Gerüche oder Geräusche. Eher das beklemmende Gefühl, allein an einem fremden, unfreundlichen Ort zu sein. Wo befand ich mich? Ich konnte mich einfach nicht erinnern, wie ich hierher gekommen war. Bloß weg, möglichst schnell. Ich setzte einen Fuß vor den anderen, bahnte ich mir meinen Weg. Ganz vorsichtig, weil ich immer noch keine Vorstellung hatte, was mich umgab. Verfluchte Finsternis. Holzdielen knarrten unter meinen Füßen. Tick-Tick-Tick. Kurzzeitig hatte ich das Geräusch verdrängt, als ich mit der Benommenheit kämpfte und der Frage, wo ich war. Doch jetzt drängte es sich wieder in mein Bewusstsein. Und noch viel schlimmer – es verfolgte mich! Verdammt, was war das? Hatten die Militärs eine neue Bombe gebaut und mich als Versuchskaninchen verschleppt, um ihre Leistungsfähigkeit zu beweisen? Zielerfassung, Zielverfolgung. Aufgrund von was? Wärme? Einem implantierten Chip? Man hörte so was ja immer wieder. Menschen, die plötzlich verschwanden. Und all die neuen Waffen und Kampfstoffe. Irgendwie mussten die ja getestet werden, an irgendwem. Ich hatte schon eine Weile das Gefühl, verfolgt, beobachtet zu werden, hatte es aber auf den Stress und die Überarbeitung geschoben. Wer wollte schon gern als paranoid gelten? Und jetzt bekam ich die Quittung dafür. Kalter Schweiß bildete sich zwischen meinen Schulterblättern und die Härchen in meinem Nacken stellten sich alarmiert auf. Woher wussten die von mir? Wer genau waren die? Und warum hatten sie mich ausgewählt?
Ich lief weiter in der Dunkelheit. Da plötzlich ein anderes Geräusch. Was war das? Ein vorbeifahrendes Auto? Hörte sich jedenfalls so an. So nah an einer geheimen, militärischen Versuchsbasis? Aber die waren ja meist unterirdisch. Mitten unter uns und doch verborgen. So fielen sie am wenigsten auf.
Verfluchte Dunkelheit, ich sah überhaupt nichts. Kein Fenster, keine Einrichtungsgegenstände. Vorsichtig schlich ich immer weiter. Nur weg, das war der einzige Gedanke, der mich beherrschte, der mich immer weiter vorwärts trieb. Ich spürte die Panik in mir aufsteigen, wenn ich mir vorstellte, was hier alles in der Dunkelheit auf mich lauern könnte und was mit mir geschehen würde, wenn ich dem nicht entkam. Meine Schritte beschleunigten sich. Da prallte ich mit etwas zusammen. Wie ein greller Blitz durchzuckte es meinen Schädel. Dumpfer Schmerz breitete sich in Wellen auf meiner Stirn aus. Ich fluchte und fasste mir an den Kopf. Spürte eine warme, klebrige Flüssigkeit an meinen Fingern. Blut. Mein Blut. Ich musste hier raus! Meine Hand tastete suchend umher. Ein Türrahmen, zumindest fühlten sich die Konturen so an. Hoffnung keimte in mir. Wo ein Türrahmen war, da gab es auch eine Tür nach draußen. Und meist auch einen Lichtschalter. Wenn es nicht mehr so dunkel um mich herum wäre, dann wäre alles halb so schlimm. Wenn ich wenigstens sehen könnte, in was ich da geraten war. Das Tick-Tick-Tick wurde wieder lauter, drängte sich unbarmherzig in den Vordergrund. Tick-Tick-Tick – ich sah den Zeiger, der meine Lebenszeit ablaufen ließ, mit jedem einzelnen Tick. Meine Hände fingerten nervös und zitternd umher, dann fand ich das erlösende Viereck und betätigte es. Nichts! Ich betätigte es noch einmal. Wieder nichts. Noch immer herrschte Dunkelheit. Wie weit war ich schon gekommen, 10 Meter, 20 Meter? Ich konnte es nicht sagen. Tick-Tick-Tick. Das Geräusch war immer noch hinter mir, raubte mir den Verstand. Hier kam ich nicht weiter, also schnell weg, nach einem anderen Fluchtweg suchen. Vor allem weg von dem Ticken der Bombe oder was immer es war. Ich schlich weiter. Der Boden war kalt unter meinen Füßen. Am liebsten wäre ich gerannt, doch in der Dunkelheit wollte ich nicht schon wieder gegen irgendetwas laufen. Der warme Blutstrom, der meine Stirn herunterlief, erinnerte mich nur zu gut daran, wie gefährlich mein Gefängnis war. Die Arme nach vorne gestreckt bewegte ich mich langsam, wachsam, immer auf der Hut vor neuen, unerfreulichen Überraschungen. Plötzlich ein rhythmisches Dröhnen unter mir. Was war das schon wieder? Eine Maschine. Mit welchem Zweck? Lauerte da ein noch größerer Schrecken? Ein modernes Folterinstrument? Mein Herz fing an zu rasen, das Pochen schmerzhaft in meinem Brustkorb. Verflixt, wo war ich? Hinter mir das Tick Tick Tick, unter mir das Dröhnen. Schweiß brach mir jetzt am ganzen Körper aus, lief in Rinnsalen über meine Haut, eiskalt. Auf meiner Stirn vermischte er sich mit dem Blut, das immer noch aus der Platzwunde sickerte. Ich wagte schneller zu gehen. Ein Fehler. Wieder Schmerz. Diesmal am rechten Fuß. Vorsichtig ging ich in die Hocke. Tastete nach dem Gegenstand, der mich so unsanft am Zeh getroffen hatte. Ein Gewehr. Also doch das Militär. Aber warum ließen die hier eine Waffe liegen? Spekulierten sie darauf, dass ich mich in Panik selbst erschießen würde? Oder dass ich versuchen würde, in blinder Verzweiflung um mich zu schießen? Welchen Sinn sollte das haben? Ich hätte ja noch nicht mal gewusst, wo ein potentielles Ziel wäre. Und zum Suizid reichte meine Verzweiflung noch nicht. Ich lebte, ich hoffte, ich würde entkommen. Die Waffe war sicher eine Falle. Ich würde nicht hineintappen. Stattdessen richtete ich mich wieder auf, ließ das Gewehr liegen. Der pulsierende Schmerz wanderte langsam mein Bein hoch. Es kam mir vor wie Folter. Ja genau, man folterte mich, für irgendeine Versuchsreihe des Militärs. Dabei war ich doch nur ein kleiner Versicherungsvertreter. Würde ich hier je wieder rauskommen? Meine Familie sehen? Immer noch war dieses dumpfe Dröhnen unter mir und das Tick-Tick-Tick in meinem Nacken. Ein eisiger Luftzug von rechts ließ meine feinen Härchen am Unterarm sich aufrichten. Ich strich darüber, bemerkte die Gänsehaut. Mich fröstelte. Es half alles nichts, ich musste weiter. Würde ich jedoch schneller gehen, war die Gefahr groß, dass ich wieder irgendwo anstieß. Langsamer hieß, die Bombe, oder Rakete, oder was immer es war, würde mich erwischen. Was sollte ich tun? Ich wusste es nicht. Mein Herz hämmerte gegen mein Brustbein. Ich merkte, wie Adrenalin in meine Blutbahn gepumpt wurde. Würde es etwas bringen, wenn ich um Hilfe schrie? Nein vermutlich nicht. Ich war ja ein Versuchskaninchen. Die wollten ja sehen, was passierte. Vorsichtig wandte ich mich in der Dunkelheit nach rechts, dem Luftzug entgegen. Vielleicht war dort ja der Ausgang. Doch statt der Freiheit schlug mir das zornig kreischende Brüllen einer Bestie entgegen. Es sprengte fast mein Trommelfell. Von einer Sekunde auf die andere erstarrte ich, gelähmt vor Angst. Schaute mich gehetzt um, in der Hoffnung irgendwas zu erkennen. Selbst wenn es die rotglühenden Augen eines Monsters gewesen wären, hätte ich mich gefreut. Denn dann wäre alles bald vorbei. Doch da war nach wie vor nichts, als die undurchdringliche Dunkelheit. Also gut, dann doch die andere Richtung. Ich drehte mich vorsichtig zur linken Seite. Das Brüllen war nun hinter mir, das Dröhnen immer noch unter mir. Nur bei dem Tick-Tick-Tick hatte ich das Gefühl, es wäre ein wenig leiser geworden. Ich lachte innerlich auf. Sollte es meine Fährte verloren haben? Vorsichtig ging ich vorwärts und stieß abermals mit einer Wand zusammen. Zaghaft befühlte ich sie. Eine strukturierte Oberfläche. Sehen konnte ich immer noch nichts, aber die Wand unter meinen Fingern war ein Anhaltspunkt. Schritt für Schritt arbeitete ich mich daran entlang. Was war das? Ich hielt inne. Meine Nerven zum Zerreißen gespannt. Etwas war mir über die Hand gehuscht, die immer noch auf der Wand lag. Mehrbeinig, soviel konnte ich feststellen. Und schnell. Ein weiteres Monster? Ich lauschte, doch da war nur das Dröhnen, das Brüllen und das immer leiser werdende Tick-Tick-Tick. Das Trommeln meines Herzens mischte sich in dieses düstere Orchester. Ich fuhr mir mit der Zunge nervös über die Lippen. Die waren trocken, genau wie meine zugeschnürte Kehle. Ich wollte hier raus und schreien. Aber nein, das wollten sie doch bestimmt. Ich stellte mir für einen Sekundenbruchteil vor, wie Ärzte in weißen Kitteln und hochrangige Militärs in einem grauen Raum vor grauen Monitoren saßen und mich beobachten. Sicher waren hier überall Nachtsichtkameras angebracht. Ich schlich weiter. Wartete geradezu darauf, dass wieder etwas Neues passierte. Oh Gott, nun macht schon ihr verdammten Hurensöhne, dachte ich. Das Warten war fast noch schlimmer als das Dröhnen, das Brüllen und das Tick-Tick-Tick. Nichts geschah. Und als ich schon glaubte, es würde nichts mehr passieren, hörte ich plötzlich ein brodelndes Geräusch. Also doch. Es klang wie eine zähe Flüssigkeit, die nur darauf wartete, mich zu verschlingen. Nein, eine Säure, die sich durch meine Haut fressen würde. Durch meine Eingeweide, meine Knochen. Wenn das hier vorbei war, mussten die doch alle Spuren beseitigen. Nichts würde von mir übrig bleiben. Das Entsetzen trieb mich an. Bloß weg. Mit ausgestreckten Händen machte ich einen großen Schritt und fühlte sofort etwas Neues, Kaltes an meinen Handflächen. Metallisch, eindeutig. Panik stieg in mir auf, schnürte mir die Kehle zu. Das riesige Blatt einer Kettensäge, die darauf wartete, mich zu töten, mich in kleine Scheiben zu zersägen, trat vor mein inneres Auge. Ich konnte dieses Bild nicht abschütteln.. Aber das Brüllen hinter mir machte eine Umkehr undenkbar. Ich atmete tief durch, nahm meinen ganzen Mut zusammen, ließ meine Hände vorsichtig und prüfend über die glatte, kühle Fläche gleiten. Nein, keine Kettensäge, eher ein Türrahmen. Ich atmete auf, Erleichterung machte meine Knie weich. Die Freiheit. Hatte ich es geschafft, ohne Verrückt zu werden? War ich wirklich entkommen? Wie enttäuscht mussten die Ärzte in ihren weißen Kitteln und die hohen Militärs sein? Doch die Dunkelheit blieb, auch das Dröhnen von unten, das Brüllen, hinter mir, welches langsam näher kam, das leiser werdende Tick-Tick-Tick und das Brodeln. Natürlich würden sie mich nicht entkommen lassen, die Hoffnung starb so schnell, wie sie gekommen war. Ein Trugschluss, dass es überhaupt einen Ausweg gab, den ich hätte finden können. Denn schließlich hatte man mich entführt. Ich würde meine Familie nie wiedersehen. Zu meiner Panik und dem hämmernden Herzen mischte sich das Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Einen Moment war ich versucht, mich einfach hinzusetzen und auf meine Peiniger zu warten, die mich bestimmt abholen würden. Nein, die Genugtuung würde ich ihnen nicht geben. Fast schon suchend setzte ich einen Schritt nach vorn und zog ihn gleich drauf zurück. Wieder Kälte. Hier war irgendwie alles kalt. Erneut, diesmal noch vorsichtiger, setzte ich meinen Fuß wieder auf den neuen Boden. Der Untergrund fühlte sich steinig an. Leicht muffiger Geruch schlug mir entgegen. Wo war ich jetzt? Was erwartete mich? Denen war doch alles zuzutrauen. Vielleicht ein kalter Metalltisch, mit Ärzten in weißen Kitteln davor und kleinen Bohrern in der Hand. Die darauf warteten, in mein Gehirn zu schauen. Doch zurück konnte ich auch nicht, dieses zornig kreischende Brüllen kam immer näher. Und das Brodeln war ja auch noch da. Also vorwärts. Wahrscheinlich würden sie meiner Familie einen Brief schreiben, in dem stand, dass ich einen Unfall gehabt habe. Ich fing an, zu weinen. Schluchzend und zitternd tastete ich mit meinen Händen nach einer Wand. Ich hatte Angst, war am Ende. Meine Stirn blutete immer noch. Sie würden mir bestimmt kleine Sonden überall reinstecken. Was für perverse Menschen lebten auf diesem Planeten? Ich schlich weiter, die Hände immer an der Wand. Das erste Möbelstück kam mir in den Weg. Ein Regal. Flaschen und Tuben standen darauf. Bestimmt voller weiterer Chemikalien, mit denen sie meinen ganzen Körper zersetzen konnten, um ihn anschließend unter dem Mikroskop zu untersuchen. Was war besser? Die Aussicht, von der Bestien hinter mir gefressen zu werden, von der Bombe erwischt zu werden – aber die hatte ja anscheinend meine Fährte verloren – oder als schleimige Flüssigkeit unter einem Mikroskop zu enden, welches von Ärzten in weißen Kitteln bedient wurde, während ihnen hohe Militärs über die Schultern schauten? Ich entschied mich für die Ärzte. Das waren Menschen, da konnte ich mich vielleicht wehren. Obwohl meine Hoffnungen sanken und meine Panik mich fast lähmte. Verfluchte Dunkelheit. Doch gegen die Bestie, die hinter mir her war, hatte ich keine Chance. Soviel war sicher. Also weiter vorwärts. Schritt für Schritt. Das Brüllen wurde lauter, gieriger. Es verlor keine Zeit mehr. Was für ein Tier war das? Vielleicht irgendwas Genmanipuliertes. Irgendwas Neues, um den Schutz der militärischen Anlagen zu erhöhen. Auf alle Fälle klang es sehr gefräßig. Warum machten die nicht das verdammte Licht an? Sie hatten doch erreicht, was sie wollten. Ich zitterte und war nervlich am Ende, hatte eine Wunde an der Stirn und Schmerzen am Zeh. Als Hackfleisch würde ich ihnen nichts nützen, wenn mich die Bestie als erstes erwischte. Die Dunkelheit blieb. Zitternd ging ich weiter, der kalte Boden unter mir. Plötzlich einer neuerlicher Schmerz. Ich verzog das Gesicht. Hatte mich die Bestie erwischt? Weit konnte sie nicht mehr sein. Doch der Schmerz kam aus den Knien, nachdem sie mit etwas zusammengestoßen waren. Also gab es kein Vorwärts mehr. Ich war in einer Sackgasse. Das Brüllen kam näher und das Dröhnen von unten brachte mich zum Erbeben. Hilflos tastete ich an der Wand umher. Etwas Metallisches glitt zwischen meine Finger. Ein Hahn. Plötzlich fühlte ich etwas Kaltes auf meiner Schulter, das Brüllen ganz nah. Ich fing an zu schreien, hysterisch zu schreien. Das Herz drohte, mir zu zerspringen. Das Ende war nah. Ich hatte verloren.


„Beruhige dich, mein Schlafwandler. Und nimm die Schlafbrille ab, wenn du unter die Dusche willst. Es ist immer das Gleiche. Außerdem hat der Nachbar schon wieder die Musik so laut an“, sagte meine Frau, auf ihren Armen unser hungriges Baby.
Ich sackte schweißüberströmt vor der Badewanne zusammen.


Anmerkungen:
31. Jan. 2009


Veröffentlichung auf www.leser-welt.de mit freundlicher Genehmigung von LITERRA.

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